Donnerstag, 20. Januar 2011

"Tiroler Tageszeitung" Nr. 19 vom 20.01.2011 Seite: 2 Ressort: Meinung Tiroler Tageszeitung

Wenn der Europäische Gerichtshof der Empfehlung der Generalanwaltschaft folgt, wird das sektorale Lkw-Fahrverbot aufgehoben. Das wäre richtig, weil Tirol damit versucht hat, örtliche Lkw trotz ihrer Emissionen zu verschonen und das Land querende zu treffen, obwohl im Transit die saubersten Fahrzeuge unterwegs sind - durchschauter Protektionismus.
Ministerin Bures verschiebt den Bau des Brennerbasistunnels, weil er unfinanzierbar und verkehrspolitisch unnötig ist. Deutschland hat das erkannt und baut deshalb die Strecke zur Schweizer Gotthardlinie aus. In Zulaufstrecken zum BBT wird nicht investiert.
Somit hat Tirol jetzt unverhofft die Chance zur Abkehr von einem gigantomanischen Uraltprojekt und zu einer vorwärts gerichteten Verkehrspolitik für die Menschen statt für die Bauindustrie. Zu schaffen ist ein ökologisch orientierter, dichter öffentlicher Personennahverkehr abseits der Fernverkehrsschienen, die vom Lokalverkehr entlastet gehören, weil er den effizienten Gütertransit per Bahn verhindert. Gleiches ist mit den Nachbarn zu vereinbaren, damit Bestandsschienen zu einem leistungsfähigen Korridor von Rosenheim bis Verona werden. Eine schnelle Güterbahn kann dem Lkw Paroli bieten und ein besserer ÖPNV drängt den Pkw-Verkehr zurück, der mehr Schadstoffe erzeugt als der Schwerverkehrstransit. Parallel dazu ist das Lkw-Fahrverbot auf alle Lkw auszudehnen, die nicht den besten Schadstoffklassen angehören.
Das käme wesentlich billiger als der BBT, wäre schneller zu realisieren und würde die Umwelt entlasten. Und Europa hätte wohl nichts dagegen.
Dr .David Gulda, d.gulda@berger-gruppe.com


Dieser Beitrag enthält aus meiner Sicht einige Wahrheiten* zur Tiroler Verkehrspolitik Und darum zitiere ich ihn hier. Der Schreiber, David Gulda, ist einer der Köpfe in der Transportwirtschaft, die schon öfter bewiesen haben, dass sie über den Tellerrand einer reinen straßenorientierten Verkehrspolitik hinausblicken.

*)siehe auch mein diesbezüglicher Kommentar  auf meinem Blog www.paschberg.blogspot.com .

Aber Dr. David Gulda ist natürlich ein Vertreter seiner Zunft (Berger Logistik) und dementsprechend sind in seinen Ansichten auch einige Dogmen versteckt, die man so wohl nicht stehen lassen kann. So z.B., dass ein Zug mindestens 1000km im Stück fahren muss: Die dazu angeführten Vor und Nachlaufkosten sind wohl auch deshalb so unattraktiv, da der Staat 50 Jahre nur in die Straße investiert hat – und nun in Eisenbahnlöcher (sowohl im Tunnel als auch auf der Landkarte, wie die voranschreitende Einstellung der Nebenbahnen und der Gleisanschlüsse zeigt) statt in die Flächenpräsenz der Bahn.

Vorsicht ist daher auch hier geboten:

„Zu schaffen ist ein ökologisch orientierter, dichter öffentlicher Personennahverkehr abseits der Fernverkehrsschienen, die vom Lokalverkehr entlastet gehören, weil er den effizienten Gütertransit per Bahn verhindert.“

Es handelt sich hier um eine diplomatische Kassandraaussage. Folgende Lesarten sind möglich:

1) Wir brauchen jedenfalls weitere Schienenachse zur Verkehrsabwicklung auf den Hauptachsen, die den ÖPNV zu den Fahrgästen bringen.

Diese Lesart würde bedeuten, dass der S-Bahn-Betrieb auf der Brennerachse (die ja den besten Modal - Split zugunsten des Regionalverkehrs auf der Bahn aufweist) durch den Ausbau der Brennerstrecke (z.B. dreigleisig) mit dem Güterverkehr abgestimmt werden muss. Es bedeutet weiters, dass der Sinn der neuen Unterinntalbahn der reine Güterverkehr ist – denn so kann auf der alten Strecke der Reisezug und Regionalverkehr ungestört abgewickelt werden. Für die Ballungsräume beutet es, dass Projekte wie die Regionalbahn in Innsbruck forciert werden müssen.

2) Der Personenverkehr ist über die Straße abzuwickeln, damit die Schiene frei für den Güterverkehr wird.

Diese Lesart würde bedeuten, dass die gegenwärtigen Vorstöße - z.B. bei der Deutschen Bahn – auch im Fernverkehr Busse als Ersatz für Züge einzusetzen Standard werden. Ebenso bedeutet das eine „Verbussung“ des bereits vorhandenen Schieneregionalverkehrs – möglicherweise vergleichbar zu dem was sich am Gotthard noch bis zu Fertigstellung des dortigen Basistunnels abspielt.

Ich werde seine Aussagen jedenfalls nach Lesart 1) lesen zumal Guldas detaillierte Ausführungen dahin weisen.


Zu Lesart 2) folgenden Anmerkungen:

Man wird zwar sagen, dass ein ökologischer Personennahverkehr auf den Hauptachsen nicht mit Busverkehr umgesetzt werden kann; Vergessen darf man aber nicht, dass z.T. mit haarsträubenden Argumenten Statistiken so zurecht gebogen werden, dass herauskommt, die Straße wäre besser als die Bahn. 

Das Stichwort in diesem Kampf der „Argumente“ heißt Primärenergieverbrauch. Mit dem Primärenergieverbrauch kann man vieles hinbiegen, da die Erfassung allen Energieverbrauchs bis zum Endergebnis dem Suchen nach einer Weltformel gleich kommt (z.B. müsste man dann auch die erzwungenen Verkehrsverlagerung vom Fußgänger- auf den PKW-Verkehr durch die Trennwirkung von Hauptverkehrsbauwerken und daraus resultierenden erzwungen Umwegen untersuchen)

Wenn man in einer Statistik der Deutschen Energieagentur DENA beim Fernreisebus (und beim Flugzeug) 100% Besetzungsgrad annimmt, bei der Bahn jedoch nur 30%, so wird klar, warum der Fernreisebus plötzlich günstiger als die Bahn wird. Zwar wird das im Anhang zur Tabelle erklärt – trotzdem ist´s recht hinterhältig...

Korrigierte Tabelle auf Basis folgender Quelle: DENA
Anzumerken ist, dass zumindest wenn man dem Wikipedia-Eintrag (http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Energie-Agentur) folgt, die DENA in gewisser Weise befangen ist. Nur ist mir nicht klar, wozu die Statistiken so hingebogen werden, zumal doch die Bahn auch mit Strom fährt und die Finanziers der DENA in der Elektrizitätswirtschaft zu finden sind. Auch dass Bus und Tram gleichauf stehen, kann ich mir nicht vorstellen, da der Rollwiderstand der verschiedenen Verkehrswegetypen wesentlich ist. Eine vollbesetzte Tram rollt, einmal beschleunigt (und sei es nur auf 5km/h), bei Stromausfall ohne weiters bis zur nächsten und übernächsten Haltstelle.
Ich zitiere mich daher lieber selbst und weise auf diese Gegenüberstellung hin (wobei ich mich auf den Endenergieverbrauch beschränke, da er das ist was, jeder Einzelne beeinflussen kann):


Wer diese Größenverhältnisse nicht glaubt, sehe sich die Technikgeschichte an.
Wann trat das Auto im Verkehr seinen Siegeszug an?
Nicht bei seiner Erfindung um 1670 (Cugnots Dampfwagen), sondern erst zu dem Zeitpunkt als durch die Bahn derartige Überschüsse an Ressourcen geschaffen waren, dass man diese getrost verbrauchen konnte (sei es im Krieg oder im Verkehr).
Dass auch diese Überschüsse endlich sind, hat sich damals anscheinenden keiner gedacht.
Hätten wir die abendländischen Industrialisierung mit dem Auto begonnen, dann wären wir wohl schon um 1850 wirtschaftlich eingegangen.
Insofern ist der Abgrund, auf den wir uns nun zu bewegen auch nicht allein der Abhang im„Peak Oil- Diagramm“ sondern letztendlich ein Verplempern von mühsam in Generationen aufgebauten Reserven guter Infrastruktur mit einer Maschine, genannt Auto, die uns vorgaukelt, wird würden uns beim Fortbewegen Energie sparen. Ob das ein Öl- oder ein Stromauto ist, ist bei dieser Frage nebensächlich.
Sparen können wir uns aber nur die 3 Käsesemmeln Nahrung, die wir durch Öl im Brennwert von 30 Käsesemmeln ersetzen. Und da wir auf diese drei Käsesemmeln in der Regel auch nicht verzichten, sondern essen wie vordem…
…ist es kein Wunder, dass ca 1/10 der Weltbevölkerung hungern, Tendenz steigend.

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